Interview
Wir brauchen eine europäische KI-Strategie – Interview mit Fabian Westerheide, Gründer und CEO der AI for Humans
ideas: Herr Westerheide, Sie sind Gründer und CEO der AI for Humans GmbH. Können Sie sich und Ihr Unternehmen kurz vorstellen?
Fabian Westerheide: Seit über 15 Jahren bin ich im deutschen und europäischen digitalen Ökosystem aktiv – als Gründer, Investor, Netzwerker, Autor und Unternehmer. Ich habe Start-ups aufgebaut, Venture-Capital-Fonds initiiert und mich seit 2013 ganz auf das Thema Künstliche Intelligenz (KI) fokussiert. Seitdem begleite ich die Entwicklung dieser Technologie als einer der zentralen Treiber im deutschsprachigen Raum – mit dem Ziel, Deutschland zu stärken, aber auch ihre gesellschaftliche Bedeutung zu vermitteln.
Gemeinsam mit meiner Frau Veronika Westerheide habe ich schon vor einigen Jahren die AI for Humans GmbH gegründet. Sie ist der rechtliche Ausdruck einer gemeinsamen Mission: Europa dabei zu helfen, die digitale Souveränität im Zeitalter der KI zu bewahren. Aus einem kleinen Meet-up im Jahr 2014, bei dem wir uns mit der Frage beschäftigten, ob die technologische Singularität näherrückt, ist in den vergangenen zehn Jahren die Rise of AI Conference entstanden – heute die führende Konferenz für das europäische KI-Ökosystem. Am 14. Mai 2025 findet die nächste Konferenz in Berlin statt – mit über 350 Vordenkern, Unternehmern und Entscheidungsträgern vor Ort. Parallel bieten wir einen kostenlosen Livestream an. Wer verstehen will, wie Europa in einer von KI getriebenen Welt bestehen kann, ist herzlich eingeladen – persönlich oder digital.
Die AI for Humans GmbH organisiert diese Konferenz und begleitet ausgewählte Unternehmen, Institutionen und Führungskräfte strategisch auf ihrem Weg durch die KI-Transformation. Dabei geht es nicht um kurzfristige Tools, sondern um langfristige Ausrichtung, Orientierung und Wirkung.
Künstliche Intelligenz ist das mächtigste Werkzeug dieses Jahrhunderts – in einer Welt, die sich immer schneller und radikaler verändert. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen. Das erfordert technologisches Verständnis, aber auch den Willen zur Auseinandersetzung. Denn KI ist nie neutral – sie spiegelt die Kultur, die Werte und die Moral ihrer Herkunft wider. Deshalb ist es für unsere Zukunft entscheidend, dass Europa eigene KI-Systeme entwickelt: damit wir unsere Bildung, unsere Verwaltung, unser Gesundheitswesen, unsere Lebensweise verstehen – und unsere Freiheit sichern. Gleichzeitig habe ich gemeinsam mit Partnern mit AI.FUND einen Venture-Capital-Fonds initiiert, der europäische KI-Unternehmen in der Wachstumsphase unterstützt. Denn je mächtiger die Technologie wird, desto wichtiger werden die Menschen, die sie gestalten – und das Kapital, das sie ermöglicht.
Sie haben sich also schon lange vor ChatGPT mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Waren Sie von der rasanten Verbreitung von ChatGPT überrascht?
Ich beschäftige mich seit über einem Jahrzehnt mit KI. Das war lange, bevor der Begriff »ChatGPT« überhaupt existierte. Die Jahre 2014 bis 2017 waren entscheidend: Damals haben wir die Grundlagen erlebt, auf denen heutige Large Language Models (LLMs) aufbauen. Der Trend war also früh erkennbar – und wer damals aufmerksam war, wusste: Die (R)Evolution kommt.
Die Qualität des Sprungs von GPT-3 auf 3.5 (Ende 2022) hat uns aber tatsächlich überrascht. Plötzlich war da ein Modell, das nicht nur theoretisch gut, sondern praktisch nutzbar war – auf hohem Niveau. Die Folge: 100 Millionen Nutzer in zwei Monaten. Ein globaler Mindshift. KI war über Nacht im Mainstream angekommen. Medien, Unternehmen, Politiker – alle sprachen auf einmal über das, was wir seit Jahren vorbereiteten.
Die echte Überraschung war also nicht, dass es passiert, sondern wann bzw. wie schnell es dann ging. Gleichzeitig hat dieser Moment erneut massive Investitionen ausgelöst und KI wieder auf die strategische Agenda von Staaten, Regierungen und Unternehmen katapultiert. Das war schon 2016 bis 2019 so – aber dann kam Covid. Jetzt ist das Momentum zurück, stärker als je zuvor.
Ende vergangenen Jahres kam mit DeepSeek das chinesische Pendant zu ChatGPT auf den Markt. Es soll deutlich effizienter hinsichtlich benötigter Rechenleistung sein. Ist das aus Ihrer Perspektive wirklich so?
DeepSeek – oder zurzeit auch Manus AI – sind ein starkes Zeichen dafür, dass China nicht nur aufholt, sondern auch zunehmend in der Lage ist, Innovation aus dem Westen zu adaptieren, zu optimieren und günstiger wieder in den Markt zu bringen. Was besonders auffällt: DeepSeek benötigt deutlich weniger Rechenleistung, zum Teil mit Kostenunterschieden im Faktor 30x bis 500x – ein enormer Effizienzgewinn, der gerade in der wirtschaftlichen Anwendung entscheidend ist.
Das zeigt: China hat ein leistungsfähiges KI-Ökosystem aufgebaut. Investitionen in Forschung, Bildung, Kapitalmärkte und Industrie über ein Jahrzehnt tragen jetzt Früchte. Gleichzeitig muss man sehen: DeepSeek basiert in vieler Hinsicht auf amerikanischer Vorarbeit – viele Daten- und »Mutter-Modelle« stammen direkt oder indirekt aus den USA. Aber China hat gelernt, daraus ein funktionierendes Produkt zu machen – für weniger Geld.
Technisch gesehen ist das eine positive Entwicklung, weil sie den Wettbewerb belebt. Für uns in Europa heißt das: Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Die Innovationsgeschwindigkeit steigt – und es reicht nicht mehr, nur zuzuschauen oder zu regulieren. Wir müssen selbst aktiv werden.
Sehen Sie es aus Nutzersicht kritisch, dass DeepSeek ein chinesisches Unternehmen ist?
Absolut. Der Blick auf Funktionalität reicht nicht mehr aus. Die Frage ist: Was und wer steckt dahinter? China nutzt KI sehr gezielt, um die Bevölkerung zu steuern und zu überwachen – Algorithmen als Instrumente der sozialen Kontrolle. Wir sehen dort ein System, das Technologien nicht primär zur Effizienzsteigerung einsetzt, sondern zur politischen Machtausübung. Und diese Technologien werden bereits exportiert – in über 60 Länder, vor allem nach Afrika und Südostasien.
Das ist ein geopolitischer Realitätscheck: Während wir in Europa noch über Ethik und Governance diskutieren, schafft China Fakten – mit günstiger Hardware, leistungsfähiger Software und autoritärer Effizienz. Gerade weil amerikanische Produkte oft teurer und regulatorisch anspruchsvoller sind, setzen viele Staaten auf chinesische KI-Infrastruktur.
Deshalb: Wir Europäer müssen unsere eigenen Systeme bauen – und zwar jetzt. Wir müssen Souveränität sichern, auch technologisch. Und wir müssen selbst exportieren – in die Welt, nicht nur innerhalb unserer Grenzen. Sonst finden wir uns in einer digitalen Weltordnung wieder, die nicht mehr unseren Werten entspricht.
Denken Sie, dass auf Dauer ein anderes Land den USA den ersten Platz beim Thema KI streitig machen kann?
Kurzfristig: Nein. Mittel- bis langfristig: nur China. Die USA sind derzeit uneinholbar vorn – nicht nur wegen ihrer Tech-Konzerne, sondern weil ihr gesamtes System auf Innovation, Geschwindigkeit und Skalierung ausgelegt ist. Dort trifft Kapital auf Risikomentalität und schnelle Umsetzung.
China holt allerdings auf – mit Plan, mit Macht und mit Fokus. Aber Europa? Hier diskutieren wir noch immer, ob wir überhaupt eine eigene KI brauchen. Dabei wäre genau das entscheidend: eine europäische Antwort, die Innovation und Regulierung ausbalanciert, nationale Champions stärkt, den Zugang zu Rechenleistung sichert und Bildung konsequent neu denkt.
Wenn wir das nicht schaffen, verlieren wir weiter an technologischem Einfluss – und damit an politischer Handlungsfähigkeit. Wir brauchen eine europäische KI-Strategie, die schnell, mutig und koordiniert ist. Sonst bestimmen andere unsere digitale Zukunft.
Wie schätzen Sie die Position Deutschlands dabei ein?
Deutschland hat enormes Potenzial – und nutzt es viel zu wenig. Wir sind zu langsam, zu bürokratisch, zu fragmentiert. Dabei ist klar: Ohne eine digitale Führungsrolle Deutschlands wird Europa technologisch irrelevant. Genau deshalb müssen wir jetzt handeln.
Ich hoffe, dass die kommende Bundesregierung endlich ein Digitalministerium schafft – mit echter Umsetzungskompetenz. Deutschland braucht eine Staatsreform, die Verwaltung digitalisiert, Prozesse vereinfacht und endlich Raum für Innovation schafft. Dazu gehören gezielte Investitionen in KI, Halbleiter, Rechenzentren – und der Aufbau europäischer Cluster.
Die SPD muss lernen, KI nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als Chance für mehr Lebensqualität, für effizientere Arbeit, für gerechte Teilhabe. Die CDU muss den Staatsumbau ernst nehmen – mit digitalen Ministerien, digitalen Schulen und digitaler Industriepolitik. Und alle gemeinsam müssen dafür sorgen, dass der Wohlstandsgewinn durch KI nicht nur bei wenigen Aktionären landet, sondern in der Breite der Gesellschaft ankommt.
Man hört oft, dass Nutzer nicht das vollständige Potenzial von KI-Tools nutzen, da die Qualität der Prompts, sprich Befehle, nur unzureichend ist. Haben Sie einen Tipp für unsere Leser, wie sie sich hier weiterbilden können?
»Prompting« ist die neue digitale Schlüsselkompetenz – vergleichbar mit dem Moment, als Menschen gelernt haben, Google effizient zu nutzen. Es geht darum, KI klar, strukturiert und zielorientiert Anweisungen zu geben – wer das kann, arbeitet produktiver, präziser und kreativer.
Mein Tipp: Schauen Sie sich den »AInauten«-Newsletter an unter https://www.ainauten.com/. Dort gibt es täglich praxisnahe Tipps, Tools und Prompts, verständlich erklärt. Wer das regelmäßig liest, bleibt auf dem Laufenden, lernt intuitiv und spart sich viel Zeit bei der Einarbeitung in neue KI-Werkzeuge.
Und noch ein Tipp: Kommen Sie zur Rise of AI-Konferenz am 14. Mai in Berlin – live oder online. Dort sind über 350 führende Köpfe versammelt, die zeigen, wie KI konkret in der Praxis funktioniert – von Mittelstand bis Forschung, von Start-up bis Politik. Wer nicht persönlich kommen kann, kann sich für den kostenlosen Livestream anmelden und später alle Inhalte on demand ansehen. Mehr Informationen erhalten Sie unter https://riseof.ai/.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.